Online-Talk mit Mode- und Textildesignerin Julia Moser
04.03.2021, 11 Uhr via Zoom
Was haben Bakterien mit Mode zu tun? Kann Biodesign die Textilindustrie revolutionieren? Wie funktioniert das Färben von Stoffen mit lebenden Organismen, worin liegen die Vorteile und was sind die Schwierigkeiten dabei? Spielt der Designprozess noch eine Rolle, wenn Bakterien das Muster bestimmen?
Diese und viele weitere Fragen rund um die Verknüpfung von Nachhaltigkeit und Neuen Technologien in der Modeindustrie, alternative Methoden und welche Rolle Biodesign dabei spielt, beantwortet und diskutiert im AFA Community Online-Talk eine Expertin auf diesem Gebiet: Mode- und Textildesignerin Julia Moser.
Julia Moser hat das Masterstudium textil.kunst.design an der Kunstuniversität Linz absolviert, wo sie derzeit auch ihren Master im Studiengang Fashion&Technology macht.
Sie arbeitet an der Schnittstelle von Design, Kunst und Forschung mit dem Fokus auf Materialinnovation und Biodesign. In ihrem Forschungsprojekt Wachsende Farben. Lebendige Pigmente beschäftigt sie sich mit textiler Bakterienfärbung und untersucht, welche alternativen Färbemethoden mit lebenden Organismen im Zusammenspiel mit Neuen Technologien möglich sind. Und vielleicht sogar die Textil- und Modeindustrie revolutionieren können.
Textile Bacteria dyeing Julia Moser from Julia Moser on Vimeo.
Interview
Bitte stelle Dich selbst kurz vor: Wer bist Du, was machst Du, woher kommst Du?
Mein Name ist Julia Moser. Ich bin Künstlerin und Designerin und beschäftige mich vor allem mit Materialinnovation und Biodesign. Studiert habe ich Textil.Kunst&Design and er Kunstuniversität Linz, wo ich meinen Bachelor und Master gemacht habe. Aktuell bin ich außerdem am Ende meines Masterstudiums bei Fashion & Technology auf derselben Uni. Aufgewachsen bin ich in Kuchl, einem kleinen Dörfchen in Salzburg. Während ich mein halbes Leben schon von dort weg bin und in Städten gelebt habe, denke ich, dass mich die Naturverbundenheit, die ich in meiner Kindheit erlebt habe und die Art wie ich aufgewachsen bin, in meiner Wertehaltung, was meine künstlerische Arbeit anbelangt hat, sehr geprägt hat.
Was zeichnet Deine Arbeit aus? Was ist Deine Spezialität?
Nachhaltige und spirituelle Themen stehen im Fokus meiner Arbeit. Während ich mich schon als Kind für Mode interessiert habe, mir im Kindergarten schon selbst Sandalen mit Schnallen und Schließsystemen gebastelt und Shirts handgenäht habe, war es anfänglich nicht ganz klar, was ich studieren werde, da ich einen so breit aufgestellten Interessensbereich habe.
Als ich nach einem Jahr Kunstgeschichtestudium dann zu Textildesign gewechselt habe, war das ganze Studium hinweg die größte Frage, die mich begleitet hat: Wie kann ich meine Werte und Philosophien mit meinen Talenten und Interessen verbinden und Sinn in meine Leidenschaft legen. Lange Zeit hat es sich so angefühlt, als müsste ich mich entscheiden zwischen dem, wofür ich brenne, was ich gerne mache und dem, was sich richtig anfühlt und wo ich dahinter stehen kann.
Denn Mode und Textildesign kann sich auch ganz falsch anfühlen, wenn man an einen Punkt gelangt, wo man merkt, dass man dadurch Dinge unterstützt, die man nicht unterstützen möchte oder mit Materialen arbeiten sollte, die man nicht einsetzen möchte oder, oder...So habe ich mir oft die Frage gestellt, warum ich in dieser Branche tätig bin und ob ich überhaupt richtig bin, wenn ich so viele Dinge so kritisch hinterfrage. Irgendwann wurde mir klar, dass es wichtig ist, dass auch Leute wie ich, die nicht mit allem einverstanden sind und blind mitmachen und alles genauso wie davor machen wollen, in dieser Branche tätig sind, denn nur durch eine kritische Auseinandersetzung mit Dingen kann Veränderung und auch Fortschritt entstehen. Und damit habe ich versucht, meine Nische zu finden, in der Nachhaltigkeit, Well-Being, Naturverbundenheit, aber hoher Designanspruch und Qualität nebeneinander und miteinander existieren können.
Derzeit forschst und experimentierst Du zur Bakterienfärbung von Textilien. Wie bist Du darauf gekommen? Und wie hast Du es als Designerin geschafft, Dich mit komplexen mikrobiologischen und chemischen Prozessen vertraut zu machen?
Ich bin vor etwa 3–4 Jahren auf die Möglichkeit gestoßen, mit Bakterien zu färben. Das hat mich unheimlich überrascht, fasziniert und in den Bann gezogen. Dadurch, dass es allerdings Laborarbeit bedarf, bin ich davon ausgegangen, dass es keine Möglichkeit für mich gibt, damit zu arbeiten. Erst durch einen Workshop mit dem Vienna Textile Lab direkt vor dem ersten Lockdown im letzten Jahr konnte ich praktisch damit in Berührung kommen. Diese Färbemethode, die einen völlig neuen Zugang zum Designprozess erfordert, hat mich zutiefst gefesselt. So habe ich nach Möglichkeiten gesucht, weiterhin, über den Workshop hinaus, damit arbeiten zu können. Dies gelang mir durch eine Kooperation mit dem Vienna Textile Lab, wo ich daran forschte, die Bakterienfärbung mit neuen Technologien zu kombinieren, um kontrollierte Muster damit zu erzielen und damit einen größeren Anwendungsbereich für die Bakterienfärbung zu erschließen.
Während ich mich alleine um die Vor- und Nachbehandlungen der Stoffe und das Design und die Ideen kümmerte, arbeitete ich mit dem Vienna Textile Lab gemeinsam am Färbeprozess mit den Bakterien. Dadurch konnte ich noch mehr über die praktische Arbeit mit den Bakterien lernen. Mittlerweile habe ich die Möglichkeit, ein Labor an der JKU in Linz zu nutzen, das ich mir für die Bakterienfärbung ausstatten durfte. Durch die praktische Auseinandersetzung mit dem Thema und den Austausch mit diversen Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Bereichen, versuche ich, mir nach und nach das nötige Know-How anzueignen, um mögliche Fehlerquellen auszuschließen und die einzelnen Wissens-Puzzleteile zu einem Bild zusammenzubauen.
Woher kommen diese Bakterien? Wie beschaffst Du sie? Was benötigen sie, um zu leben? Wie vermehren sie sich?
Für die eigene Arbeit bestelle ich die Bakterien. Sie brauchen Nährstoffe, die genau abgestimmt sind, den richtigen PH-Wert, die richtige Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Lichtbedingungen – jeder Bakterienstamm hat andere Vorlieben. Von der Menge her ist es schwer zu sagen. Es braucht optisch eine winzige Menge an Bakterien - für einen Quadratmeter Stoff etwa zwei Millimeter würde ich schätzen. In dieser Menge sind jedoch massig Bakterien enthalten. Tausende, wenn nicht Millionen... und diese vermehren sich weiter, bis sie das Textil überwachsen.
Wie kann man sich den Färbeprozess eines Stoffs vorstellen?
Es gibt verschiedene Wege, Textilien mit Bakterien einzufärben. Während manche mit extrahierten Pigmenten der Bakterien arbeiten und andere mit synthetischer Biologie und damit modifizierten Bakterienstämmen, arbeite ich mit den Lebendorganismen, die direkt auf den Stoffen wachsen. Dabei können Stoffe direkt in einem Flüssigmedium gefärbt werden, wo die Bakterien eingeimpft werden oder sie können in einer Box gefärbt werden, wo Stoffe auf Agarplatten gelegt und mit Flüssimgedium übergossen werden.
Welchen Unterschied auf das Ergebnis macht es, Stoffe mit lebenden Bakterien und mit extrahierten Pigmenten aus Bakterien zu färben?
In der Herstellung macht es einen großen Unterschied, was den Ressourcenverbrauch angeht. Für das Färben mit den Lebendorganismen benötigt man kaum Wasser und nur geringe Mengen an Nährstoffen für die Bakterien. Die Pigmente der Bakterien bleiben nach dem Färbevorgang fast zu 100% im Stoff.
Außerdem trägt das Wachstumsverhalten der Bakterien maßgeblich zum späteren Färbeergebnis bei. Die Stoffe erhalten dadurch einen sehr lebendigen Charakter und die Bakterien reagieren sehr unterschiedlich auf verschiedene aufgetragene Materialen, wie etwa Wachs oder PLA und wachsen dadurch in unterschiedlichen Farbabstufungen. So lassen sich Resultate erzielen, die nur dadurch möglich sind, dass die Bakterien lebendig die Stoffe überwachsen.
Aber auch wenn der Färbeprozess beim Einsatz von extrahierten Bakterienpigmenten mehr Wasser und Wasserverschmutzung bedeutet, bringt auch diese Methode entscheidende Vorteile gegenüber anderen Farbstoffen mit. Im Vergleich zu synthetischen Farbstoffen benötigt die Produktion der Bakterienpigmente keinen Einsatz von schädlichen Chemikalien – was natürlich ein unglaublich bedeutender Punkt ist, da die eingesetzten Chemikalien verheerende Auswirkungen auf die Natur, Mensch und Tier haben und stark zur Biodiversitäts-Krise beitragen. Aber auch im Vergleich zu natürlichen Farbstoffen werden keine großen Landflächen und Pestizide benötigt, um die dafür notwendigen Pflanzen anzubauen.
Die Schwachpunkte der Bakterienpigmente liegen allerdings bei Lichtechtheit, Farbbrillianz und Farbvarietät. Ich denke jedoch, dass vielleicht auch in diesen Schwachstellen neue Möglichkeiten erkannt werden könnten: So könnte man etwa neue Strategien entwickeln und das Konsumverhalten ändern. Anstatt jede Saison neue Kleidung zu kaufen, könnte auch darüber nachgedacht werden, die einzelnen Teile jede Saison in den neuen Trendfarben zu färben, wenn die Farben wieder verbleichen.
Warum produzieren Bakterien überhaupt Pigmente?
Warum Bakterien Pigmente erzeugen kann verschiedenste Gründe haben und ist nicht zur Gänze geklärt. Ein wesentlicher Grund ist der Schutz vor UV-Strahlung. Schließlich sind Bakterien häufig großer UV-Strahlung ausgesetzt. Manchmal auch Höhenstrahlung, wenn sie bis in die Stratosphäre nachzuverfolgen sind, wohin sie auf kleinsten Staubpartikeln gelangen. In dem Fall handelt es sich meist um Carotinoide, die vor Photooxidation schützen sollen. Dies betrifft vor allem Luftkeime, wie etwa Micrococcus. Auch die Licht-Absorption für Photosynthese kann ein möglicher Grund für Pigmentbildung sein, wie das etwa bei Cyanobakterien der Fall ist. Andere Gründe können antibiotische Eigenschaften sein, wie etwa beim Pigment Violacein. Bei vielen Bakterien ist die Bedeutung ihrer Pigmente jedoch noch unbekannt.
Welche Stoffe eignen sich für die Färbung mit Bakterien?
Erstaunlicherweise eignen sich die meisten Fasern für die Färbung mit Bakterien. Während etwa das Färben von synthetischen Fasern eine Wissenschaft für sich darstellt und nicht so leicht möglich ist, färben die Bakterien selbst solche Fasern ein. Und zwar ohne Beizmittel, die normalerweise eingesetzt werden müssen, um die Farbstoffe an die Fasern anzupassen und anhaften zu lassen. Die einzige Ausnahme von den von mir getesteten Stoffen machten die Bakterien bei Bambusfasern. Darauf wuchsen sie nicht und je nach Ausrüstung der Stoffe oder Vorbehandlung der Garne oder Faserart reagierten sie mit unterschiedlichen Farbabstufungen innerhalb eines gewissen Farbspektrums.
Welche oder wie viele verschiedene Arten an Bakterienstämmen lassen sich für die textile Färbung einsetzen?
Es gibt sehr viele verschiedene Pigmentbakterien mit unterschiedlich farbigen Pigmenten und Eigenschaften. Für die textile Bakterienfärbung erprobt sind allerdings nur eine Handvoll und ich würde schätzen, dass etwa 10 bis 15 Stämme in der Literatur vorkommen, die an Textilien erprobt worden sind.
Welche Eigenschaften müssen sie haben?
Eigenschaften wie etwa Lichtechtheit oder Beständigkeit gegenüber Abrieb, was manche Bakterienstämme besser als andere zulassen. Wobei für die meisten Pigmentbakterien dahingehend noch unzureichende Ergebnisse vorliegen. Grundsätzlich kann jedoch gesagt werden, dassBakterienpigmente in ihren Eigenschaften den Pflanzenfarbstoffen ähneln und über keine extrem hoheLichtechtheit verfügen.
Ist es möglich, Stoffe mit mehreren unterschiedlichen Bakterienstämmen gleichzeitig zu färben um Mehrfarbigkeit zu erreichen?
Prinzipiell sollte das möglich sein. Wenn allerdings gleichzeitig verschiedene Bakterienstämme in einem Färbedurchgang eingesetzt werden, werden diese Bakterienstämme miteinander agieren und sich gegenseitig hemmen, Mischfarben kreieren und unterschiedliche Dominanzen an den Tag legen.
Welchen Einfluss hat die Methode der Bakterienfärbung auf das Design? Wem kommt dabei überhaupt die Rolle des/der Designers_in zu?
Auch wenn man als Designer oder Naturwissenschaftler bereits einige Dinge vorgibt – so etwa die Rahmenbedingungen und wie die Stoffe platziert werden und wo das Flüssigmedium hingegossen wird etc. – so spielen die Bakterien eine sehr zentrale Rolle in dem gesamten Prozess. Sie entscheiden letztlich, ob sie Pigmente produzieren (denn das ist eine fakultative Eigenschaft), wo sie sich ansiedeln etc. Mit zunehmender Erfahrung lassen sich jedoch einige Punkte besser als andere steuern, aber dennoch bleibt es am Ende den Bakterien überlassen, wie die Färbung anschlägt. Es ist jedes Mal eine Überraschung und selbst bei sauberem Arbeiten kann immer sein, dass irgendetwas nicht wie gewohnt klappt. Aber es ist auch schön, wenn man schafft, einen solchen Prozess positiv anzunehmen und zu schätzen, dass jedes Stück in irgendeiner Form ein Unikat darstellen wird.
Kann man die Färbung zusätzlich zu Batik-, Siebdruck-, UV—Druck etc., beein ussen? DurchTemperatur, Sound, etc.?
Ja, auch dahingehend gibt es bereits einige Ergebnisse. So haben etwa Ilfa Siebenhaar und Laura Luchtman in ihrem Projekt Living Colour mit einem Tontechniker gemeinsam daran geforscht, wie sich Frequenzen auf die Färbung auswirken und herausgefunden, dass die Bakterien die Stoffe sehr viel regelmäßiger und homogener durchwachsen, wenn sie gewissen Frequenzen ausgesetzt sind.Temperaturen beein ussen das Wachstum auch, aber eher in die Richtung, dass sie langsamer oderschneller wachsen.
Du hast nicht nur gewobene Textilien, sondern auch Garne mithilfe von Bakterien gefärbt. Mit welchen Ergebnissen?
Ja. Ich konnte das Vienna Textile Lab überreden, gemeinsam auch Garnkonen zu färben. Bei vielen der notwendigen Arbeitsschritten waren wir unsicher, ob das klappen würde. Es hat aber geklappt und damit konnten tolle neue Wege eröffnet werden, um die Bakterienfärbung einzusetzen. Die Garnkonen, die in einem melierten Effekt gefärbt wurden, habe ich später zu Stoffen verwebt, die einen wunderschönen, lebendigen Charakter erhielten. Das Tolle dabei ist, dass man viel klarer weiß,was sich tatsächlich in den Stoffen befindet, wenn man mit eigens gefertigten Stoffen arbeitet. Denn mittlerweile sind die meisten Stoffe mit verschiedenen Chemikalieren behandelt und für verschiedene Eigenschaften und Funktionen ausgerüstet. Die Bakterien, die Natur und unsere Haut sind jedoch keine großen Fans von vielen dieser Chemikalien. Will man also genau wissen, was in den Stoffen ist, ist es von Vorteil direkt mit den Garnen zu beginnen und eigene Stoffe herzustellen. Darüberhinaus lassen sich mit homogen gefärbten Garnen ebenso gemusterte Stoffe erzielen.
Welche Schwierigkeiten sind mit der textilen Bakterienfärbung verbunden, verglichen mit herkömmlichen / synthetischen Färbeverfahren?
Es braucht Fachkräfte bzw. geschultes Personal, das verantwortungsbewusst handeln muss. Um selbst mit Bakterien zu färben, benötigt es einiges an Equipment und Know-How und das schwierigste ist, die Bakterien zu erhalten. Als Privatperson ist es nahezu unmöglich, an Bakterien zu gelangen. Das Ganze ist außerdem mit gewissen Kosten verbunden, die es notwendig machen, sich intensiv über längerem Zeitraum mit der Bakterienfärbung zu beschäftigen. Für ein schnelles Ausprobieren ist die Technik also nicht unbedingt geeignet. Für den industriellen Einsatz jedoch auch noch nicht. Dazu bräuchte es auch noch Weiterentwicklung des Prozesses. Ich denke, dass die kommenden Jahre jedoch neue Wege für die Bakterienfärbung ebnen werden.
Neben den ökologischen Vorteilen sollen bakteriengefärbte Textilien auch medizinisch positive Auswirkungen auf ihre Träger haben. Welche? Weshalb?
Die Bakterienfärbung wurde auch dermatologisch getestet. Je nach Bakterienstamm, der verwendet wird, können gewisse Eigenschaften, die die Bakterien teilweise mitbringen – wie etwa antimikrobielle Eigenschaften – die Stoffe entsprechend ausrüsten. Zum derzeitigen Stand liegen mir dazu jedochnoch zu wenige Daten vor, um darüber de nierte Aussagen treffen zu können.
In Deiner Masterarbeit heißt es: „Nach dem Färbeprozess müssen die Bakterien durch Hitze abgetötet werden“. Sind bakteriengefärbte Stoffe vegan?
Auch wenn ich merke, dass ich durch die Arbeit mit den Bakterien immer mehr Bezug zu ihnen aufbaue, sie als meine Kooperationspartner wahrnehme und immer mehr Eigenheiten der unterschiedlichen Stämme wahrnehmen kann und mir das Abtöten immer schwerer fällt und nahezu unmoralisch und ausbeuterisch vorkommt, würde ich dennoch nicht sagen, dass die Stoffe nicht vegan wären. Denn ich denke nicht, dass man vegan oder nicht vegan auf den Bereich der Bakterien ausweiten kann. Schließlich werden ständig unbewusst Bakterien abgetötet, ohne dass man es überhaupt mitbekommt – teilweise vl. nur durch das Ändern von Umgebungstemperaturen etc. Und wenn man etwa Kaktusleder als Beispiel nimmt, so leben auf den Kakteen ebenso zahlreiche Bakterien, die bei der Verarbeitung absterben. Aber dennoch würde man nicht auf die Idee kommen, diesesMaterial nicht als vegan zu bezeichnen. Und auch Veganer ernähren sich zum Beispiel häu g ganzbewusst von Bakterien beim Genuss von fermentierten Produkten wie Kimchi, Kombucha, Essig oder Kefir. Manche der Bakterien werden dann im Körper auch direkt abgetötet. Und die Bakterien würdenauch von selbst nach etwa einer Woche in den Petrischalen absterben. In Hinblick auf die Nährmedien, die an die Bakterien verfüttert werden, lässt sich jedoch über vegan oder nicht vegan streiten, wenn tierische Inhaltsstoffe verwendet werden.
In Deiner Masterarbeit schreibst Du, dass sich Sir Alexander Fleming, der Entdecker des Penicillins, bereits 1933 mit der Bakterienmalerei beschäftigte, aber erst 2012 das erste und offensichtlich einzige Buch über die Anwendung von Bakterien als Färbemittel erschien. Was glaubst Du, woran liegt es , dass diese Methode trotz aller Vorteile noch immer ziemlich unbekannt ist?
Ich denke, dass alles zu seiner Zeit geschieht. Damals als Sir Alexander Fleming mit den Bakterien „malte“ war sein Umfeld nicht bereit dafür. Die Queen selbst äußerte sich sehr negativ zu dieser Tätigkeit. Ein paar Jahrzehnte später hingegen entwickelte sich eine eigene Kunstsparte, in der genau dies praktiziert wird – Agar Art. Wie diese Bakterien jedoch außerhalb von den Petrischalen auf Stoffen angewandt werden können, konnte erst gegen 2000 von Atsushi Kijoma entdeckt werden. Die textile Bakterienfärbung steht demnach noch in den Kinderschuhen. Da die Arbeit mit den Lebendorganismen ein völliges Umdenken für den Färbeprozess erfordert und eine interdisziplänere Auseinandersetzung bedeutet, ist es in meinen Augen nicht verwunderlich, dass diese Technik erst langsam populärer wird, selbst wenn viele Vorteile für die Anwendung dieser Technik sprechen würde.
Ist diese Färbemethode tatsächlich für einen Massenmarkt denkbar? Was wären die Voraussetzungen? Und würden tatsächlich alle Stoffe gleich aussehen? Wie funktioniert die Kontrolle bei Lebendorganismen?
Momentan unter dem derzeitigen Entwicklungsstand der Bakterienfärbung wäre sie keinesfalls
für einen Massenmarkt denkbar. Der gesamte Prozess und Ablauf müsste upgescaled werden und Gerätschaften entwickelt werden, die dies ermöglichen. Auch in Hinblick auf die Produktion von Bakterienpigmenten alleine ist der Entwicklungsstand noch nicht so weit fortgeschritten, dass eine große Masse abgedeckt werden könnte. Aber ich würde lieber eine andere Frage stellen: Ist ein Massenmarkt für unsere Gesellschaft noch denkbar? Oder wäre es vielleicht an der Zeit, umzudenken und wieder kleiner und regionaler zu denken? Denn vielleicht müssen gar nicht immer die Methoden auf das System zugeschnitten werden, sondern das System auf neue Lösungsansätze und Techniken? Schließlich kann es auch als positiv angesehen werden, dass keine großen Massen beliefert werden können und die Stoffe mit dem Wert der Langsamkeit und Rarität gefüllt werden können. Und die Stoffe sehen keinesfalls gleich aus. Selbst wenn ihr Wachstum durch gewisse Umstände kontrolliert oder gesteuert wird, bleiben die Stoffe, die mit Lebendorganimsen gefärbt werden, stets Einzelstücke. Und genau das ist auch gut so und ist schön. Für mich zeugt das von Lebendigkeit und Einzigartigkeit.
Wie sieht derzeit die wirtschaftliche Situation bzgl. Bakterienfärbung aus? Gibt es Unternehmen, die sich darauf spezialisiert haben?
Ja, es ist durchaus einiges im Gange bezüglich Bakterienfärbung - hauptsächlich im europäischen Raum. So spezialisierten sich Pili oder Colorifix etwa auf synthetische Biologie – also mit modifizierten Mikroorganismen, das Vienna Textile Lab oder das Postcarbon Lab bieten etwa die Bakterienfärbung mit Lebendorganismen als Dienstleistung an und andere, wie etwa das Textile Lab Amsterdam, bieten Workshops zum Thema an und treiben die Bekanntmachung der Bakterienfärbung weiter voran.
Wie glaubst Du sieht die Zukunft der Bakterienfärbung aus? Wird sie ein wesentlicher Bestandteil der Modeindustrie werden?
Das bleibt spannend. Zu hoffen wäre es und ich bin schon sehr neugierig, wie sich alles weiterentwickeln wird und welche Methoden in Zukunft von Bedeutung sein werden und welche Entwicklungen Designer, Firmen, Unternehmer und Konsumenten noch durchlafuen werden. Aber wie die Brand Puma in einer Zusammenarbeit mit Living Colour zeigt, so steckt zumindest Potential darin, diese Methode in der Modeindustrie einzusetzen.
Wie sieht Deine Zukunft mit den Bakterien aus? Woran planst Du zu arbeiten, was sind zukünftige Projekte, Wünsche?
Die unmittelbare Zukunft mit den Bakterien sieht sehr bewegt aus. Es tut sich sehr viel. Wir sind gerade dabei, einige meiner bakteriengefärbten Samples im MaterialLab des ARS Electronica Centers Linz zu installieren. Noch im März werden Filmaufnahmen für einzelne Beiträge für das ARS Electronica Center entstehen, sowie ein Interview für die Talk-Serie „Zuhause mit...“. Auch in der Materialbibliothek des Design Museums Holon in Israel werden bald Samples von mir zu sehen sein. Darüberhinaus habe ich gemeinsam mit einer Professorin der Johannes Kepler Universität Linz, wo ich mit den Bakterien arbeite, eine große Förderung vom Linz Institute for Technology zugesprochen bekommen. Dazu wird in den kommenden 6 Monaten eine spannende Arbeit entstehen, die im September im Zuge des ARS Electronica Festivals präsentiert wird.
Mein Wunsch ist es eigentlich weiterhin zu inspirieren und zu informieren. Für mich ist es unheimlich bereichernd zu sehen, mit welcher Begeisterung viele Menschen dieses Thema aufnehmen, wenn ich davon erzähle. Nur durch meine Auseinandersetzung mit dem Thema und meine Leidenschaft und Begeisterung konnte ich das Thema bereits weit verbreiten. Was für mich wunderbar zu sehen ist, welchen Impact dies haben kann, wenn zum Beispiel einzelne Abteilungen an diversen Universitäten dadurch umzudenken beginnen und etwa neue Schwerpunkte im Bereich der Nachhaltigkeit setzen. Das erfüllt mich mit Stolz. MeinZiel ist es, Möglichkeiten zu nden, meine Ideen umzusetzen, aber auch andere dazu zu inspirieren.Je mehr Forscher*innen, Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, Textiler*innen, Privatleute und Firmen informiert und inspiriert werden können, desto breiter, vielschichtiger und bedeutender kann der Beitrag für uns alle sein.
Contact:
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